DIE NEUE ZEIT IST BLAU - K O B A L T B L A I

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DIE NEUE ZEIT IST BLAU - K O B A L T B L A U - die neue Farbe des Herzens - ebenso der neue Klang, G-Dur. Schliessen Sie die Augen und sehen Sie in sich, wenn Sie den Regen auf dem Asphalt aufprallen hören. Kobaltblau wird die Farbe vor Ihrem inneren Auge sein...

Montag, 25. August 2014

Kuckuckskinder „Es war wie eine Erlösung“

Immo Lünzer war 42 Jahre alt, als er erfuhr, dass sein Vater nicht sein Vater ist. Die Wahrheit brachte ihm jedoch keinen Frieden. Sein Leben wäre anders verlaufen, wenn er von Anfang an seinen leiblichen Vater gekannt hätte. Der Bericht eines Kuckuckskindes.

© DPAVergrößernZwischen den Fronten: Immo Lünzer musste sich mit zwei Vätern arrangieren
Zu meinem Vater - dem Mann meiner Mutter - hatte ich mein Leben lang ein schwieriges Verhältnis. Ich fühlte mich von ihm nicht anerkannt, er interessierte sich nur wenig für mich, ich kämpfte um seine Zuneigung. Nachdem ich von zu Hause ausgezogen war, haben wir uns nur noch selten gesehen. Einmal, da war ich Ende dreißig und er Mitte sechzig, sagte ich zu ihm: „Mensch, das ist ja komisch, dass du noch keine grauen Haare hast und ich schon.“ Er reagierte barsch. Als ich 42 war und schon eine eigene Familie hatte, dachte ich: So kann es nicht mehr weitergehen. Ich bat ihn um ein Gespräch und fragte ihn, warum er mir seine Anerkennung bis zum heutigen Tage verweigere. Gegen Mitternacht, nachdem er schon einiges getrunken hatte, gestand er mir schließlich: „Ich bin nicht dein Vater.“ Dann nannte er den Namen des anderen.
Zuerst konnte ich das gar nicht glauben, aber dann verstand ich auf einmal alles: Warum meine Kinder nicht Opa zu ihm sagen durften. Warum wir nie in sein Ferienhaus durften. Warum da immer diese Distanz zwischen uns gewesen war. Es war wie eine Erlösung: Endlich wurde mir klar, warum es zwischen uns nicht gepasst hatte. Zu seiner Verteidigung gab er an, meine und seine Mutter hätten ihm geraten, mir niemals die Wahrheit zu sagen. Daran habe er sich gehalten, obwohl meine Eltern sich scheiden ließen, als ich acht war, und ich sogar bei ihm und seiner neuen Frau aufgewachsen bin, weil ich nicht aus unserem Wohnort wegziehen wollte wie meine Mutter.
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Endlich ist es raus
Meine Mutter stritt nach dieser Offenbarung weiterhin alles ab. Aber immerhin erzählte sie mir, dass dieser Mann, den mein Vater als meinen Erzeuger genannt hatte, noch lebte. Er sei ein Exfreund von ihr. Gemeinsam fuhren wir zu ihm, und er gab nach einem längeren Gespräch in einem Café zu, dass ich sein Sohn sei. Erst in diesem Moment bestätigte sie das. Dabei benahmen sich die beiden nicht wie Eltern, sondern wie Bekannte. Mein Gefühl dabei war: Endlich ist es raus.
In diesem Gespräch erfuhr ich, dass mein Erzeuger - nennen wir ihn Karl - die ganze Zeit über gewusst hatte, dass er mein Vater war. Aber er hatte sich an die Anordnung meiner Mutter gehalten, es mir zu verschweigen. Dabei hatte er meinen Werdegang genau verfolgt. Er zeigte mir ein paar Zeitungsartikel, die ich geschrieben hatte, und einen Leserbrief von mir aus dem „Stern“. Die hatte er ausgeschnitten und gesammelt. Nach dem Tod meiner Mutter habe ich Liebesbriefe gefunden, die er ihr geschrieben hat und die sie bei Freunden aufbewahrt hatte. Aus ihnen geht hervor, dass er sie nach meiner Geburt noch besucht hat, und später bin ich anscheinend monatelang einen Käfer gefahren, der zunächst ihm und dann meiner Mutter gehört hatte. Doch niemals zuvor hatte ich seinen Namen gehört.
Keine Chance auf eine Familie
Ich hatte natürlich die Illusion, dass man seinen leiblichen Vater erkennt, wenn man ihm gegenübersitzt. Aber so war es nicht. Er war nicht der Mann, den ich gesucht hatte. Er sah mir nicht besonders ähnlich. Und gefühlsmäßig konnte ich nicht erleben: Er ist es. Auch er konnte mir nicht geben, was ich vermisste: Vertrauen, Stütze, Kraft, Anerkennung. Wenn ich heute „Vati“ sage, meine ich meinen sozialen Vater.
Ich habe Karl nur dieses eine Mal gesehen. Weitere Besuche waren geplant, aber wenige Monate nach unserem Kennenlernen starb 1997 zunächst er und wenige Wochen darauf meine Mutter. Ich habe dann versucht, eine neue Beziehung zu meinem sozialen Vater aufzubauen. Ich hatte die Illusion, das sei möglich, wo doch nun das Geheimnis offenbar geworden war. Doch er blieb distanziert. Inzwischen ist auch er gestorben. Er war Jurist und sehr vermögend und hat mir Immobilien hinterlassen, so dass ich meinen Beruf als Agrarjournalist und Stiftungsvorstand nicht mehr ausübe. Die Erbschaft hat dazu geführt, dass ich kaum noch arbeiten muss. Ich bin 57 und engagiere mich als Karma-Coach. Ich habe auch eine Rückführungstherapie gemacht in die Zeit meiner Zeugung. Da konnte ich die Liebe meiner Mutter zu meinem leiblichen Vater spüren.
Meiner Mutter konnte ich nicht vergeben
Das Tragische an der Beziehung zwischen Karl und mir ist, dass er mich geliebt hätte, wenn er gedurft hätte. Das habe ich gespürt. Obwohl er noch einen weiteren Sohn hat, den ich inzwischen auch kennengelernt habe, wollte er mir etwas vererben. Aber das hat meine Mutter ihm verboten, und er hat sich daran gehalten. Ich glaube, sie haben einander ihr Leben lang geliebt. Aber Karl hatte nicht studiert, mein sozialer Vater hingegen schon. Meine Mutter hat sich für die bessere Partie entschieden, aber auch meinen sozialen Vater hat sie zweifellos geliebt.
Ich bin mir sicher: Mein Leben wäre anders verlaufen, wenn ich von Anfang an gewusst hätte, wer mein leiblicher Vater ist. Ich wäre ein anderer Mensch. Ich hätte nicht mein Leben lang um Anerkennung kämpfen müssen. So aber gab ich mich extrovertierter, als ich bin, um diese Anerkennung zu bekommen: Ich lief barfuß in die Schule, war Stadtschulsprecher, später war ich „jemand“ in der Bioszene. 2001 hatte ich den ersten Burn-out, es folgten zwei weitere, zwei Lungenentzündungen und eine Leberentzündung.
Meiner Mutter habe ich noch nicht richtig vergeben können. Sie sagte zu mir: „Ich konnte nicht anders, vergib mir.“ Aber das ging bis jetzt noch nicht. Sie hat all die Jahre über gesehen, dass es nicht lief zwischen mir und meinem sozialen Vater. Ein Wort von ihr hätte genügt, um diesen Zustand zu beenden. Aber sie zog es vor, ihre Lebenslüge aufrechtzuerhalten. Auf meine Kosten.
Die Frage, wer mein Vater ist, kann ich nicht beantworten, obwohl ich auch Familienaufstellungen nach Hellinger gemacht habe. Es verschiebt sich immer wieder. Klar ist nur, dass es nicht zu klären ist.

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